2023–09–08T16:00:00GMT+0200
Martin Gerber / Akira Schmid

Etwas oberhalb von Langnau BE, eingebettet in die heimelige Hügellandschaft des Emmentals, liegt das Waldstück des ehemaligen Eishockey-Goalies Martin Gerber. Hier trifft er sich mit dem 26 Jahre jüngeren Akira Schmid zum Gespräch. Den Weg, der in ähnlicher Form vermutlich noch vor Schmid liegt, ist Gerber bereits gegangen. Es ist nicht das erste Mal, dass sich Akira Schmid und Martin Gerber zum Austausch treffen.

martin gerber / akira schmid

Martin Gerber und Akira Schmid

martin gerber / akira schmid

«Schweizer Bauer»-Magazin:
Langnau scheint ein guter Boden für erstklassige Hockeyspieler zu sein.
AKIRA SCHMID: Man hat in Langnau nicht so viele Möglichkeiten. Hockey bietet sich einfach an und hat eine lange Tradition. Ich habe es zuvor zwar noch mit Karate und Fussball versucht, bin dann aber beim Eishockey geblieben.

 

Du bist nicht der Erste aus Langnau, dem der Sprung in die NHL gelungen ist.
Hat dir Martin Gerber dabei geholfen?

AKIRA SCHMID: Bevor ich gegangen bin, habe ich mich mit Tinu getroffen und mir einige Tipps geben lassen. Er sagte mir, dass ich mein Ding durchziehen und mich nicht beirren lassen soll. Er war für mich ein grosses Vorbild. Auch weil ich dank dem Internet und Youtube seine Spiele und seine Spielweise bereits als Junge studieren konnte. Das habe ich ein Stück weit imitiert. Aber später sicher auch versucht, meinen eigenen Stil zu entwickeln.

 

Martin Gerber, du bist erst mit 26 Jahren, also eher spät in die NHL gekommen.
Wäre das heute noch möglich?

MARTIN GERBER: Ich war einfach ein sturer Cheib. Darum habe ich das geschafft (lacht). Mit meiner Körpergrösse von 180cm wäre das heute gar nicht mehr möglich. Heute ist die erforderliche Mindestgrösse für einen Goalie 187cm. Wer kleiner ist, muss wirklich bombe sein. Früher suchte man nicht unbedingt nach grossen Goalies, weil man dachte, dass sie zu unbeweglich seien. 

martin gerber
akira schmid

Wie hat sich der Sport in den vergangenen Jahren verändert?
MARTIN GERBER: Veränderungen kommen in Wellen. Ich musste meinen Spielstil während meiner Aktivzeit mehrmals etwas anpassen und verändern. Als ich frisch nach Amerika rübergegangen bin, war das Spiel sehr wild und rau. Da war es im Tor etwas anders, auch weil das Abschussverhalten der Spieler ganz anders war. Dann fand eine grosse Regeländerung statt, die viel verändert hat. Die Spieler heute spielen vor allem technisch auf einem sehr hohen Niveau.

 

Du, Akira, bist bereits mit 18 Jahren nach Amerika gezogen.
War das nicht hart?

AKIRA SCHMID: Durch die sozialen Medien hatte ich bereits ein recht gutes Bild davon, was mich erwartet. Ja, ich war jung, aber trotzdem bereits alt genug, um selbstständig zu leben. Meine Eltern haben mich darin auch immer sehr ermutigt und unterstützt. Dank dem Handy ist der Kontakt mit Familie und Freunden aber immer noch eng.

 

Wie hast du den Wechsel erlebt, Martin?
MARTIN GERBER: Ich hatte schon lange den Wunsch, ins Ausland zu gehen, da mich der Norden immer schon fasziniert hat – auch neben dem Hockey. Als ich die Möglichkeit erhielt, bei Färjestad BK in Schweden zu spielen, habe ich diese Chance gepackt. Es ist ein anderes Herangehen, wenn man etwas schon lange im Kopf hat. Da es in den nordischen Ländern ähnlich zu und her geht wie in der Schweiz, war es für mich ein guter Einstieg in die Karriere im Ausland. Es ist aber schon ein grosser Schritt, zum ersten Mal in einem Team der Ausländer zu sein und auch zum ersten Mal so richtig kritisiert zu werden, wenn man seine Leistung nicht bringt.

Akira Schmid

Wird man von den Medien härter angegangen, wenn man Ausländer ist?
MARTIN GERBER: Wenn du bei deinem Klub spielst, bist du schnell der Held und es mag meh verlyde. Als ich dann nach Schweden ging, fing das erste Interview damit an, dass aufgezählt wurde, wie viele Stars vor mir da waren, und ich gefragt wurde, was ich hier überhaupt wolle. Es zeigte mir direkt, dass niemand auf mich gewartet hat. Man darf das nicht zu persönlich nehmen und muss es als Ansporn nutzen. Sobald man die Leistung gebracht hat, ändert sich auch die Kritik.
AKIRA SCHMID: Heute bist du so schnell der Held oder eben auch sehr schnell der Dumme. Man darf sich die ganzen Sachen in den Medien nicht zu sehr zu Herzen nehmen oder überhaupt ansehen. Ich persönlich probiere mich davon so gut wie möglich fernzuhalten.

 

Wer ins Ausland geht, ist auch sonst mit viel Neuem konfrontiert.
Zum Beispiel mit anderem Essen.

MARTIN GERBER: Ich hatte das Glück, während meiner Karriere die schwedische, amerikanische, russische und kanadische Küche erleben zu dürfen. Ich habe es mit dem Essen immer so gehandhabt wie mit einem Auto. In ein Auto wirft man auch kein schmutziges Benzin rein. Wenn man nur Zeug isst, das unzählige Male verarbeitet wurde, nicht frisch und auf gutem Boden gewachsen ist, fühlt man sich auch nicht gut. Ich habe es nie übertrieben mit dem gesunden Essen. Essen ist auch etwas eine Gemütsfrage. Wenn es fein ist und es einem wohl ist, dann geht es einem auch gut. Wenn es ein oder zwei Gramm Fett mehr hat, als es das sollte, spielt es keine Rolle, weil man es eh wieder verbrennt. 
AKIRA SCHMID: Als ich angefangen habe, war das Essen noch nicht so ein riesiges Thema. Mittlerweile haben wir Ernährungsberater. Aber auch die sehen, dass man zwischendurch etwas essen muss, das man richtig gerne hat. Auch wenn es mal etwas Süsses ist.

 

In eurem Sport verbrennt man ja sowieso viele Kalorien.
MARTIN GERBER: Die Gefahr ist eher, dass man zu wenig Stoff reinbringt, um sich wieder zu regenerieren und den Speicher zu füllen. Die Spiele sind sehr anstrengend. Ich bin einer, der viel geschwitzt hat. Ich habe während einem Spiel drei bis fünf Kilo verloren. Dann fliegt man zwischen den Spielen auch noch und verliert dabei ebenfalls Wasser. Für mich war es fast das Schwierigste, den ganzen Wasser- und Energiehaushalt aufzufüllen.

 

Und welches Essen fehlt oder fehlte euch am meisten?
AKIRA SCHMID: Wenn ich in die Schweiz zurückfliege, gehe ich nach meiner Ankunft direkt beim Bäcker etwas Feines holen. Das Essen hat bei uns in der Schweiz generell eine sehr hohe Qualität. Brot und Käse und solche Sachen schmecken bei uns einfach besser.
MARTIN GERBER: Oh ja, das Brot, das man drüben hat, ist wie ein Schwamm. Das feine, knusprige Bauernbrot, wie wir es haben, gibt es nicht. Darum habe ich immer Mehl aus der Schweiz mitgenommen, damit ich zumindest am Sonntag eine richtige Züpfe backen konnte. Auch sonst hatte ich immer viele Schweizer Spezialitäten in meinem Koffer mit dabei.

Martin Gerber
Akira Schmid

Ein Leben als Profi-Hockeyspieler scheint sehr unstet zu sein.
MARTIN GERBER: Als Schweizer kann man sich das schlecht vorstellen, dass man plötzlich einen Anruf bekommt und irgendwohin geschickt wird. Aber das ist in diesem Business an der Tagesordnung. Der Klub sagt, wie es läuft, und man muss seine Leistung bringen, egal, wie und für welchen Klub man spielt. Alles andere ist fremdbestimmt. 

 

Hat man nie den Wunsch, sesshaft zu werden?
AKIRA SCHMID: Der Wunsch nach Sicherheit kommt sicher mehr, wenn man eine Familie hat. Das ist bei meiner Freundin und mir noch nicht das Thema. Ich versuche gar nicht zu viel im Voraus zu denken oder zu planen und einfach jeden Tag gut und hart zu arbeiten. Man muss das kontrollieren, was man kann, und über das, was man nicht kontrollieren kann, sollte man gar nicht erst grübeln. 
MARTIN GERBER: Für meine Frau und mich stand immer fest, dass wir unsere Kinder in Langnau zur Schule schicken möchten. Als das zum Thema wurde, sind wir hierher zurückgezogen. 

 

Mit dem Kauf deines eigenen Waldes hast du hier ja ganz konkret Wurzeln geschlagen, Martin.
MARTIN GERBER: Ich hatte immer schon den Wunsch, eines Tages selbst Wald zu besitzen. Vor einigen Jahren ergab sich die Möglichkeit, von einem Bekannten Wald abzukaufen. Wald ist ein Stück Zeit, das man geschenkt bekommt. Fast jeder Baum dort drin ist älter, als man das selbst ist. Die ganze Zusammensetzung eines Waldes fasziniert und die Entwicklungen mit dem Klimawandel und so beschäftigen mich. Ich sage meinen Kindern immer, dass ich nie eine der Tannen umsägen werde, die ich jetzt pflanze. Das würden dann sie oder meine Enkel tun. Ich bin nur zu Gast in diesem Wald, und er zeigt mir immer aufs Neue, dass meine Lebenszeit läuft.

Martin Gerber
Akira Schmid

Du nutzt deinen Wald aber auch fürs Training der Junioren in Langnau?
MARTIN GERBER: Als ich ein Kind war, ging man nach der Schule Fussball spielen, Klettern oder eben in den Wald eine Hütte bauen. Viele Kinder kennen das heute gar nicht mehr. Ich habe mir überlegt, wie ich den Jungen das Sommertraining schmackhaft machen kann – damit sie auch etwas lernen und mal etwas Anderes sehen. Vor zwei Jahren habe ich begonnen, mit den Junioren den Sommer über einmal pro Woche in den Wald trainieren zu gehen. Den meisten macht das Spass, und es ist angenehm, mit den Kindern im Wald zu arbeiten. Sie sind viel konzentrierter, die Gruppen sind kleiner und es ist nicht eine Halle, in der es laut ist und viel geschrien wird. 

 

Was macht man in Langnau sonst noch zur Nachwuchsförderung im Hockey?
MARTIN GERBER: Wir haben neben der grossen Eishalle ein Eisfeld gebaut, auf dem die Kinder dank Sponsoren gratis zum Eislaufen gehen können. Das ist ein Herzensprojekt von mir. Denn lange galt Hockey hier als teurer Sport, den sich gar nicht alle leisten können. Das wollen wir nun ändern.

 

Eishockey ist ein Sport mit vielen Traditionen und Martin Gerber ist in Langnau eine Art Ikone.
Wie ist das für dich, Akira?
AKIRA SCHMID: Ich mag es, dass es im Hockey das Bewusstsein für Traditionen gibt. Wenn ich das Trikot mit der Nummer 26 von Martin Gerber im Stadion hängen sehe, die nun für andere Spieler gesperrt ist, ist das für mich selbst ein grosser Ansporn, einmal so gut wie er zu werden und täglich mein Bestes zu geben.

Akira Schmid
Martin Gerber
Akira Schmid

Akira Schmid wurde am 12. Mai 2000 in Bern geboren und wuchs in Langnau auf, wo auch seine Eishockeykarriere als Spieler bei den SCL Tigers begann. 2018 zog er nach Amerika, wo er in der United States Hockey League für die Omaha Lancers und die Sioux City Musketeers spielte. Grössere Bekanntheit erlangt er im Februar 2023, als ihn die New Jersey Devils aus ihrem Farmteam in Utica nach Newark in die NHL holten.  

Martin Gerber

Martin Gerber, geboren am 3. September 1974, startete seine Karriere 1994 als Spieler des SC Langnau. Er hat als Eishockeytorwart in den vier wichtigsten Eishockey-Ligen der Welt, der National Hockey League, der Kontinental Hockey League, der Svenska Hockeyligan und der National League A gespielt. 2006 gewann er mit den Carolina Hurricanes den Stanley Cup und 2013 mit der Schweizer Nationalmannschaft die Silbermedaille an der Weltmeisterschaft. 2017 trat er zurück und lebt seither mit seiner Familie in Langnau.

Akira Gerber und Martin Gerber

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