Christa Krähenbühl ist Bäuerin im bernischen Oberhünigen. Irina Simonett arbeitet in Zürich als Psychotherapeutin.
Im Gespräch über ihren Alltag, die Arbeit, die Ernährung und wie sie den Frühling erleben, haben die beiden Frauen Unterschiede und noch mehr Gemeinsamkeiten entdeckt.
Frühlingserwachen
Bilder ― Oli Hallberg, Priska Fuhrer
Text ― Therese Krähenbühl-Müller
Im Palmenhaus des Botanischen Gartens in Bern sind die Temperaturen unabhängig von der Jahreszeit warm und mild. Irina Simonett, Psychologin aus Zürich, und Christa Krähenbühl, Bäuerin aus dem bernischen Oberhünigen, treffen sich hier zum Austausch. Es passt von der ersten Sekunde an. Die Frauen sind in kürzester Zeit in ein Gespräch vertieft, stellen sich vor und lassen dann einander an ihrer Alltagswelt teilhaben.
«Einen Landwirtschaftsbetrieb kann man nur führen, wenn man mit Leib und Seele dabei ist.»
Irina Simonett:
Ich bin selbstständige Psychotherapeutin und ich habe eine Praxis für ganzheitliche Psychotherapie. Das heisst, dass bei mir der Fokus auf Körper, Geist und Seele liegt. Ich begleite Menschen also nicht nur als klassische Psychotherapeutin, sondern berate sie zum Beispiel auch bei Ernährungsfragen. Daneben habe ich mit einem Businesspartner das Kochunternehmen Cook ’n’ Flirt GmbH gegründet. Wir bieten Kurse für Singles verschiedener Altersgruppen an. Daneben machen wir unter dem Label Cook ’n’ Love auch Kochkurse für Paare, und zusätzlich organisieren wir Kochevents für Firmen oder Kinder.
Christa Krähenbühl:
Das klingt spannend. Wie wird man Psychologin?
Irina Simonett:
Ich habe an der Universität Bern Psychologie studiert und das Studium mit 25 Jahren abgeschlossen. Danach habe ich berufsbegleitend die Psychotherapeuten-Ausbildung absolviert. Das dauerte nochmals fünf Jahre. Ich arbeite jetzt seit drei Jahren selbstständig.
Was machst denn Du, Christa?
Christa Krähenbühl:
Mein Mann und ich führen einen Landwirtschaftsbetrieb im Emmental, und wir haben fünf Kinder. Meine Hauptaufgabe ist es, mich um den Haushalt, das Büro und die Produktion und die Vermarktung der eigenen Produkte zu kümmern. Die älteren Kinder sind bereits recht selbstständig. Aber man muss trotzdem immer präsent sein und zum Beispiel bei organisatorischen Dingen weiterhelfen. Die Direktvermarktung unserer Hofprodukte ist erst in den letzten fünf Jahren entstanden, seit die Kinder aus dem Gröbsten raus sind und ich etwas mehr Zeit habe. Wir sind auf Geschenke spezialisiert. Und wenn es mich auf dem Betrieb braucht, packe ich auch dort mit an. Zusätzlich unterstützt uns mein Schwiegervater tatkräftig und natürlich packen auch unsere Kinder mit an. Einen Landwirtschaftsbetrieb kann man nur erfolgreich führen, wenn man mit Leib und Seele dabei ist. Das Buure ist bei unserer ganzen Familie definitiv eine Leidenschaft. So gehen wir auch nie lange in die Ferien. Die längsten Ferien, die wir je als Familie hatten, war eine Woche am Meer. Das fanden alle super. Trotzdem haben die Kinder nie mehr danach gefragt und gesagt, dass sie das wiederholen möchten.
Irina Simonett:
Bei Euch auf dem Betrieb wird es sicher nie langweilig?
Christa Krähenbühl:
Nein, definitiv nicht. Obwohl uns das einmal von einem TV-Redaktor gesagt wurde, als wir uns zur Teilnahme in einer Kochsendung beworben haben. Schlussendlich waren wir dann doch dabei, und das war ein schönes Familienerlebnis. Kochen ist sowieso ein wichtiges Thema in einer Grossfamilie mit Landwirtschaftsbetrieb.
Irina Simonett:
Da haben wir offenbar eine Gemeinsamkeit.
Christa Krähenbühl:
Definitiv. Ernährung ist mir sehr wichtig. Ich achte darauf, so saisonal und regional wie möglich zu kochen, obwohl auch ich Kaffeebohnen oder Zitronen kaufe. Wir produzieren selbst Milch, haben Fleisch von den eigenen Kühen, eigenes Getreide und Mehl und bauen einen grossen Teil vom Gemüse im eigenen Garten an.
Irina Simonett:
Im kleinen Stil mache ich das ähnlich und ziehe zum Beispiel Kräuter sowie Radieschen auf dem Balkon oder ich ziehe Sprossen. Saisonalität ist mir beim Kochen auch sehr wichtig. Da ich zusätzlich einen Foodblog schreibe, auf dem ich die nachgekochten Rezepte veröffentliche, achte ich ebenfalls auf einen bewussten und nachhaltigen Konsum. Aber eben, wenn man in der Stadt aufgewachsen ist und lebt, hat man nicht ganz die gleichen Möglichkeiten.
Bist Du auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen?
Christa Krähenbühl:
Ja, mein Mann und ich sind beide Bauernkinder. Der Betrieb, den wir jetzt bewirtschaften, haben wir 2007 von meinen Schwiegereltern übernommen. Den Betrieb meiner Eltern bewirtschaftet jetzt mein Bruder. Ich bekomme aber auch noch immer viel Hilfe von meinen Eltern. Gerade beim Gärtnern ist meine Mutter die absolute Expertin und unterstützt mich tatkräftig. Als ich ein Kind war, waren wir beim Gemüse Selbstversorger und wenn ich heimkam, war meine Mutter entweder im Garten oder hat in der Küche Gemüse gerüstet, blanchiert oder Konfitüre gekocht. Die Leidenschaft dafür wurde mir in die Wiege gelegt. Das ist auch das Schöne, wenn man einen Landwirtschaftsbetrieb führt. Man kann selbst entscheiden, was und wann man es macht. Der Mann ist viel daheim und die Kinder können ganz natürlich bei der Arbeit mit dabei sein und lernen so auch anzupacken. Gerade jetzt zum Frühling hin haben alle grosse Freude, wenn es nach draussen geht und man endlich wieder richtig buuren kann.
«Als ich ein Kind war, waren wir beim Gemüse Selbstversorger und wenn ich heimkam, war meine Mutter entweder im Garten oder hat in der Küche Gemüse gerüstet, blanchiert oder Konfitüre gekocht.»
Merkst Du bei deiner Arbeit auch, dass es Frühling wird?
Irina Simonett:
Gute Frage. Ich würde sagen, dass ich es bei meinen Klienten an der Stimmung merke, dass es Frühling wird. Sie blühen wieder auf, und auch ich persönlich spüre, dass es wie ein Erwachen ist. Alles ist luftiger und entspannter. Das hat auch einen biologischen Grund: Wenn die Tage länger und sonniger werden schütten die Menschen wieder mehr vom Glückshormon Serotonin aus und fühlen sich dadurch besser.
Christa Krähenbühl:
Bei uns geben im Frühling auch alle Vollgas. Wir haben einen Anbindestall und die Kühe gehen im Winter regelmässig in den Laufhof. Wenn sie im Frühling wieder auf die Weide können, dann rennen und springen sie und sind fast nicht mehr zu bändigen. Es kommen auch wieder viel mehr Spaziergänger bei unserem Hof vorbei. Man merkt richtig, wie es die Menschen nach draussen zieht. Ich habe dann auch immer das Bedürfnis, ums Haus herum aufzuräumen und neu zu dekorieren. Ich bin Floristin und im Frühling kann ich natürlich aus dem Vollen schöpfen.
Irina Simonett:
Ich finde es wichtig, dass man sich auf die verschiedenen Jahreszeiten und somit auch das Frühlingserwachen einlässt. Es ist nach dem kalten, zurückgezogenen Winter wie ein Neuanfang. Viele Menschen haben dann auch das Bedürfnis, sich auf verschiedenen Ebenen zu erneuern, wie zu kuren, zu entschlacken, sich oder auch ihr Zuhause zu reinigen, Neues bei der Arbeit zu beginnen, neue Bekanntschaften zu schliessen oder gar sich zu verlieben und so weiter. Gerade das Fensterputzen gehört bei vielen fix dazu. Weil man so sinnbildlich auch wieder eine klare Sicht erhält. Viele Menschen verändern im Frühling auch ihre Ernährung und freuen sich, dass es neue und frische Gemüse sowie Früchte gibt und die Zeit der Suppen und Eintöpfe vorbei ist.
Christa Krähenbühl:
Der erste Kopfsalat aus dem Garten ist bei uns jeweils einer der Höhepunkte im Frühling.
Hilft dir der Frühling auch bei Deiner Arbeit? Fällt es den Menschen dann leichter, sich zu öffnen?
Irina Simonett:
Der Frühling hilft in dem Sinne, weil es uns durch die erneuernden und leichteren Umstände besser geht und wir dies dann in der Psychotherapie nutzen können. Der Frühling kann somit zum Beispiel für die Erneuerung der Gedanken genutzt werden. Diese haben einen grossen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen oder gestimmt sind. So wie wir denken, so geht es uns auch. Gerade auch im Frühling kann dieses Gedankenputzen bewusst gemacht werden. Es ist wichtig, dass man sich innerlich reinigt und dafür entscheidet, bestimmte Gefühle oder Gedanken loszulassen. Weil ich ganzheitlich arbeite, empfehle ich auch oft, die Nährstoffe nach dem Winter aufzustocken. Das hilft zudem gegen die Frühjahrsmüdigkeit.
Es ist demnach nicht so, dass wir alle depressiv sind, aber es kann manche verunsichern.
Christa Krähenbühl: Die kenne ich.
Warum gibt es die?
Irina Simonett:
Wegen eines Anpassungsprozesses in unseren Körpern. Weil die Tage länger werden, haben wir mehr Lichtzufuhr. Wenn wir mehr Licht abbekommen, setzt im Gehirn eine hormonelle Umstellung ein. Das regt wiederum den ganzen Energiestoffwechsel an, und wir fühlen uns grundsätzlich fitter. Doch durch die wärmeren Temperaturen weiten sich die Gefässe, der Blutdruck sinkt dadurch und das macht uns müde. Jede Person erlebt dies anders. Es ist demnach nicht so, dass wir alle depressiv sind, aber es kann manche verunsichern. Dieser ganze Anpassungsprozess dauert ein paar Wochen, bis man sich umgestellt hat. In dieser Zeit ist es besonders wichtig, dass man den Körper mit gesunden Nährstoffen unterstützt und sich viel im Freien bewegt. Es ist beeindruckend, was der Körper alles für uns macht. Somit ist es gut, milde zu sich zu sein und sich Zeit zu geben für die Umstellung. Bei einem Landwirtschaftsbetrieb ist man oft draussen.
Wie erlebst Du dies?
Christa Krähenbühl:
Oh ja. Im Frühling, wenn die Tage länger werden, bringe ich die Kinder und den Mann am Abend nicht mehr ins Haus. Dann wird bis um halb sieben Uhr gearbeitet und danach stellen sie auf Hobby um und arbeiten weiter. Aber sie sagen dem Hobby. Im Winter ist das nicht so. Wenn es kalt ist, kommen sie schneller rein.
Irina Simonett:
Da habt ihr einen grossen Vorteil. Bei meiner Arbeit beobachte ich oft, dass die Menschen viel zu wenig nach draussen gehen oder auch zu wenig Möglichkeiten dazu haben. Ich habe deshalb entschieden, weniger Eins-zu-eins-Therapien anzubieten, sondern Kurse und Angebote für Gruppen in der Natur zu machen. Einerseits werde ich Nachmittage und Abende mit Vorträgen zu bestimmten Themen wie zum Beispiel Angst oder Depressionen bestückt mit einer Meditation halten, bei denen der Austausch in der Gruppe möglich ist. Anderseits gehe ich mit den Menschen raus in die Natur, mache geführte Wanderungen, bei denen geredet, aber auch geschwiegen und meditiert wird.
Christa Krähenbühl:
Das klingt spannend. Für mich ist das halt völlig fremd, weil ich so viel draussen bin. Und mein Mann hat beim Holzen im Wald auch Bewegung und Ruhe, für den ist es unvorstellbar, dass man so etwas macht. Aber vermutlich wächst das Bedürfnis nach solchen Angeboten schon?
Irina Simonett:
Einerseits gab es lange den Trend, immer mehr zu wollen und sehr leistungsorientiert zu sein. Anderseits beobachte ich in den letzten Jahren wieder eine Gegenbewegung und sehe, dass es die Menschen zurück in die Natur zieht und sie das Bedürfnis haben, zur Ruhe zu kommen. Wenn man aber in einem eher urbaneren Umfeld lebt, ist das nicht so einfach, und man weiss vielleicht auch gar nicht so konkret, wo man hingehen soll. Darum sind solche Angebote definitiv gefragt. In meinen Therapiesitzungen waren die Teile, in denen ich mit den Menschen nach draussen ging oder meditiert habe, besonders gefragt. Die Natur bietet so viel Erholung, aber auch Heilkräfte, die wir nur wieder entdecken müssen. Die Menschen sehnen sich nach mehr Balance und Auszeiten im Alltag.
Christa Krähenbühl:
Das ist uns schon auch wichtig. Mein Mann und ich gehen bewusst zweimal pro Jahr ein paar Tage zusammen weg. Die Kinder machen dann mit dem Grossätti den Stall und die übrige Arbeit, und das funktioniert gut. Man muss gut darauf achtgeben, wenn die Kinder grösser werden, dass man sich noch umeinander kümmert.
Irina Simonett:
Das ist bei allen Paaren ein wichtiges Thema. Sich immer wieder neu begegnen. Insbesondere die Kommunikation ist ein Schlüssel für eine gelingende Partnerschaft.
Christa Krähenbühl:
Im Frühling, während dem es auf dem Betrieb so viel zu tun gibt, haben wir sicher etwas weniger Zeit als Paar. Die Maschinen bereitet mein Mann bereits im Februar vor. Dann beginnen die ersten Gartenarbeiten, und die Viehschauen stehen an. Da führen wir unsere Tiere vor und sie werden bewertet. Viehzucht ist in unserer Familie ein wichtiges Thema. Im Hofladen steht dann der grosse Osterverkauf an, und danach kommt direkt der Muttertag, für den wir auch immer viele Geschenke produzieren. Für meinen Sohn Tobias ist das Misten und Güllen auch ein weiterer Frühlingshöhepunkt. Da haben wiederum viele Menschen nicht so Freude daran, wenn wir den Mist ausbringen, wenn sie die Fenster öffnen wollen. Solche Dinge machen es uns Bauern manchmal etwas schwer.
Irina Simonett:
Mir ist dieses ganze Güllen und Misten ehrlich gesagt auch etwas suspekt. Könnte man dem Mist nicht einfach in der Biogasanlage das Gas entziehen?
«Gerade im Frühling kann dieses Gedankenputzen bewusst gemacht werden. Es ist wichtig, dass man sich innerlich reinigt.»
Christa Krähenbühl:
Es gibt Landwirte, die das machen. Aber wenn auf unseren Feldern Gras und Getreide wachsen soll, wir bauen Urdinkel an, braucht der Boden natürlichen Dünger. Kunstdünger kommt bei uns praktisch keiner mehr zum Einsatz. Auch weil wir viel natürlichen Dünger haben. Darum halten wir auch Tiere und versuchen, in Kreisläufen zu produzieren. Aber das verstehen viele nicht. Gerade der ganze Veganismus-Trend hat für uns zu vielen Diskussionen geführt.
Irina Simonett:
Ich ernähre mich vegan.
Christa Krähenbühl:
Wirklich?
Irina Simonett:
Ich habe mich sehr bewusst dafür entschieden, weil ich festgestellt habe, dass es mir damit besser geht und ich auch so meinen Beitrag zur Umwelt leisten kann. Dazu kommt, dass ich seit meiner Kindheit an Unverträglichkeiten leide und auch darum gut darauf achten muss, was ich esse.
Christa Krähenbühl:
Ich kann mir schon vorstellen, dass Unverträglichkeiten zunehmen. Einfach auch deshalb, weil unsere Lebensmittel immer mehr verarbeitet werden.
Irina Simonett:
Definitiv. Und es gilt: Man ist, was man isst. Stress schlägt sich auch in Produkten nieder und wenn man das isst, schlussendlich auch im eigenen Körper.
Christa Krähenbühl:
Oh ja, gutes Essen braucht seine Zeit. Ich finde es zum Beispiel schade, wenn ich sehe, dass beim Backen auf ein Kilo Mehl ein ganzer Hefewürfel verwendet wird. Da ist es kein Wunder, dass die Leute gebläht sind und das Brot nicht vertragen. Wenn ich für unseren Marktstand backe, verwende ich einen halben Würfel für fünf Kilo Mehl und lasse den Teig acht bis zehn Stunden ruhen, so dass er arbeiten und schön aufgehen kann. Vermutlich würdest Du Brot aus unserem Getreide oder unser feines Urdinkelkernotto auch besser vertragen. Ich lasse Dir eine Lieferung zukommen.
Irina Simonett:
Oh ja, das würde mich sehr freuen. Da sieht man wieder, so weit sind wir eben doch nicht voneinander entfernt.
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