2023–12–13T09:41:36GMT+0100

Mona Vetsch ist zügig unterwegs und mit diversen Kleidertaschen schwer bepackt. Sie eilt durch den Eingang des SRF-Medienhauses im zürcherischen Leutschenbach, grüsst nach allen Seiten und nimmt sich im Lift Zeit für einen Schwatz mit einer Arbeitskollegin. Das Tempo ist hoch. Beim Kaffee kommt sie dann aber ins gemütliche Erzählen – so, wie sie das bereits in ihrer Kindheit auf einem Bauernhof im Thurgau erlebt hat.

«Schweizer Bauer»-Magazin:Man sagt den Leuten auf dem Land ja allgemein nach, dass sie gesprächiger seien als die Leute in der Stadt. Hilft Ihnen diese Prägung bei Ihrer Arbeit?

Mona Vetsch: Auf dem Land hat man keine Berührungsängste. Das kann man sich gar nicht leisten. Du kannst dir nicht einfach Leute aussuchen, die alle so sind wie du. Man hat einzig die Wahl, ob man in den Turn- oder Gesangsverein oder doch lieber zu den Schützen geht. Dieses Umfeld, in dem jeder jeden kennt, hat mich schon geprägt. Auf dem Land begegnet man einander auf Augenhöhe. Das kommt mir bei meiner Arbeit zugute.
Ich rede mit Bundesräten ähnlich wie mit Leuten, die ich irgendwo im Bus treffe. Für mich ist das normal.

 

Das klingt idyllisch.

Das Idyll ist nur die eine Seite der Wahrheit. Es gibt viele Dinge, die für die Menschen auf dem Land schwierig sind. Gerade, weil man sich gut und schon so lange kennt. Früher gab es viele Sachen, die nicht sein durften und über die man auch nicht reden konnte. In den Dörfern meiner Kindheit gab es immer wieder menschliche Dramen. Ich bin froh, dass es eine neue Generation von Bäuerinnen und Bauern gibt, die sich bewusst sind, wie wichtig zum Beispiel die psychische Gesundheit ist.

Sie sind selbst auch auf einem Bauernhof aufgewachsen. Was war das für ein Betrieb?

Wir waren ein klassischer Schweizer Bauernbetrieb im Thurgau, auf dem ein bisschen von allem gemacht wurde. Von der Fläche her war er eher klein. Mein Vater hat Land dazu gepachtet. Wir betrieben Milchwirtschaft, züchteten Schweine, hatten Obstbäume und dazu kam viel Ackerbau. Eine Zeit lang haben wir sogar Tabak angebaut, weil das den Bauern empfohlen wurde. Nach der Ernte waren wir alle klebrig und schwarz vom Teer. Geraucht hat in unserer Familie nie jemand.

Wer führt den Betrieb Ihrer Familie heute?

Mein Bruder hat ihn übernommen, auf Bio umgestellt und sich auf Legehennen spezialisiert. Das bedeutet unserer Familie viel. Mein Grossvater hat sich mit diesem Betrieb seinen grossen Lebenstraum verwirklichen können. Er ist im St. Galler Rheintal aufgewachsen, sein Vater war Strassenbauer. Mein Grossvater war anfangs Knecht in dem Thurgauer Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Später konnte er dort einen Hof übernehmen.

 

Sie sind ein Arbeitstier.
Kommt das auch von der bäuerlichen Prägung?

Die Einstellung der Bauern und vor allem auch der Bäuerinnen gegenüber der Arbeit hat mich sicher geprägt. Ich bin mit einem Rollenbild aufgewachsen, das sehr ausgeglichen war. Ob Frau oder Mann: Erwerbsarbeit ist wichtig.
Mir war auch immer klar, dass ich unabhängig sein will, und darum einen Job brauche, mit dem ich eine Familie ernähren könnte.

Was haben Sie sonst noch von
der Landwirtschaft gelernt?

Eine weitere Sache, die mich nachhaltig geprägt hat, ist die Art, wie wir «buuret» haben. Unser Betrieb war sehr divers. Das hat mich eines gelehrt: Lege deine Eier in verschiedene Nester.

 

Das sieht man auch Ihrem Lebenslauf an.

Sicher. Ich habe nie berufliche Monokultur betrieben. Ich habe Radio und Fernsehen gemacht, für Zeitschriften geschrieben und zusätzlich Veranstaltungen moderiert. Alles parallel. Auf andere könnte das so wirken, dass ich etwas verzettelt bin. Für mich war immer klar, dass es mir nicht entspricht, nur auf etwas zu setzen. Wenn man auf einem Landwirtschaftsbetrieb nur auf Zuckerrüben setzt, und es gibt mehrere schlechte Jahre, dann hat man einfach ein Problem. Man muss schauen, dass man verschiedene Pfeile im Köcher hat, mit denen man ausgleichen kann. Das gibt mir auch die Freiheit und die Gelassenheit, dass nicht immer alles auf einem Toplevel laufen muss.

 

Das klingt aber auch nach sehr viel Arbeit?

Schon. Man arbeitet halt, bis man fertig ist. Diese Mentalität habe ich mitbekommen. Das ist für Arbeitgeber attraktiv, für einen selbst ist es nicht nur gut. Das ist etwas, das ich auch meinen Kindern mitgebe. Es bringt einem nichts, wenn man sich selbst zu Boden wirtschaftet. Bei einem Landwirtschaftsbetrieb weiss man auch, dass man nicht zehn Jahre lang alles aus einem Acker rausholen kann. Im elften ist er dann einfach leer.

Können Sie gut Pause machen?

Ich habe bis jetzt etwas zu wenig Brachjahre eingelegt. Ich fange wahnsinnig gern Sachen an.  Im Bremsen bin ich weniger gut. Sobald ich das Gefühl habe, jetzt weiss ich, wie der Hase läuft, wird es mir langweilig, und ich will etwas Neues beginnen.

 

Führte dieser Entdeckerdrang auch zu Ihrer Karriere als Journalistin und Moderatorin?

Wenn man jung ist, hat man ja den Drang, alles anders zu machen als seine Eltern. Der Weg, den ich eingeschlagen habe, war für meine Herkunft ungewöhnlich. Ich ging ins Gymnasium. Das bedingte auch, dass ich mit 16 Jahren auszog und im Schülerwohnheim in Frauenfeld wohnte. Ich bin meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mich diesen Weg gehen liessen. Sie haben mir aber auch mitgegeben, dass ich mich selber über die Runde bringen müsse. Darum habe ich Wirtschaft studiert. Schlussendlich war das Studium für meine berufliche Laufbahn nicht relevant, ich habe es auch nicht beendet. Schon während meiner Zeit im Gymnasium habe ich für Zeitungen geschrieben und danach fürs Radio gearbeitet. Arbeiten war mir näher als Studieren, weil ich das von meinem Hintergrund her kannte.

 

Am Anfang Ihrer Karriere galt die Landwirtschaft als nicht besonders trendy?

Ich habe einmal eine Reportage über eine Bergbauernfamilie gemacht, dort hat mir die Tochter gesagt: «Der Stein, den du am weitesten wegwirfst, kommt am sichersten wieder zu dir zurück.» Als junge Frau wollte ich so schnell wie möglich weg. Ich habe gemerkt, dass ich als Bäuerin nichts taugen würde. Landwirtschaft hat mich null interessiert, damals. Das ist heute anders. Wenn ich aufschreibe, was mich in meinem Leben am meisten glücklich macht, ist das zuerst meine Familie und als zweites mein Garten und die Zeit in der Natur. Mein Garten ist mittlerweile meine Ausgleichsfläche, meine liebsten Schuhe sind meine Gummistiefel.
Das ist aber erst etwa seit zehn Jahren so.

 

Und wie kamen Sie zu dieser Erkenntnis?

Ich glaube, irgendwann stellt man fest, wie sehr alles ein Kreislauf ist. Was für ein «munziger» Punkt man ist im grossen Ganzen. Darum tut es mir so gut, draussen zu sein. Die eigene Bedeutung relativiert sich und man ist in einen Prozess eingebunden, in dem man selbst nur ganz einen kleinen Teil beeinflussen kann. Das ist auch in der heutigen Zeit, in der alles machbar zu sein scheint, ein wichtiger Gedanke. Viele Dinge passieren einem auch einfach. Es gilt, sie hinzunehmen.

Sie beschäftigen sich also auch oft mit Fragen
der Nachhaltigkeit?

Wir haben eine Reportage über Förster im Wallis gemacht, die den Schutzwald bewirtschaften. Gerade nächste Woche besuchen wir sie wieder, weil ihnen in diesem Sommer der ganze Wald abgebrannt ist und ich darüber berichten will.
Der Förster sagt mir, dass er diesen Wald nicht für seine Kinder, sondern sogar für seine Enkel anpflanze. Das ist die Sorte von Nachhaltigkeit, von der ich finde, dass wir sie dringend wieder entdecken sollten. Lange Zeit hatte man den Druck, vorwiegend produktiv zu sein. Es geht nicht, immer nur das Maximum rausholen zu wollen, wenn man langfristig das Optimum erreichen will. Solche Fragen stellen sich nicht nur in Bezug auf die Landwirtschaft, sondern auch für uns als ganze Gesellschaft. Ohne dass wir alle einen Schritt zurück machen, kommt es nicht gut.

 

Sie haben Wirtschaft studiert.
Wie könnte das konkret aussehen?

Wenn man einen Landwirtschaftsbetrieb führt, hat man immer schon den Gedanken an die kommenden Generationen, weil man ihnen den Betrieb ja gerne übergeben würde. Das ist auch bei den KMU ähnlich. Die Schweiz ist ein Land der KMU, und es ist wenig erstaunlich, dass Familienunternehmer im Durchschnitt besser performen als andere Unternehmen. Das hat unter anderem damit zu tun, dass man langfristigere Entscheidungen trifft, vielleicht auch mal auf einen kurzfristigen Gewinn verzichtet oder aber, wenn es runtergeht, sich gegen krasse Massnahmen entscheidet.
Man hat in einer Zeit, die immer schneller wird, eine langfristige Perspektive. Das ist definitiv das, was uns alle weiterbringt.

 

Mona Vetsch bei den Walliser Förstern im Aletsch-Schutzwald.

Was ist Ihre lang- oder zumindest
mittelfristige berufliche Perspektive?

Die Sendung «Mona mittendrin» läuft jetzt seit sechs Jahren. Im Februar feiern wir mit der 50. Sendung unser Jubiläum. Das ist eine grosse Freude. Hätten wir vor der Realisierung der ersten Sendung eine Erfolgsanalyse gemacht, hätten uns sicher alle davon abgeraten. Andere berichten über Glamour, Trends oder Skandale, wir über die Spitex.

 

Woher kommt der Erfolg von «Mona mittendrin»?

Viele schätzen, dass man ins Leben von «normalen» Menschen sieht, aber trotzdem vieles lernen kann. Dass in der Schweiz vieles gut funktioniert, ist nicht selbstverständlich, sondern es hängt von Menschen ab, die ihr Bestes geben. Der Einblick in unterschiedliche Lebenswelten kann Verständnis schaffen.
Kürzlich war ich in meinem Garten, als mich ein älterer Herr auf eine Sendung über junge Männer mit einer tödlichen Muskelkrankheit angesprochen hat. Am besten habe ihm gefallen, dass es keine traurige Sendung gewesen sei, sagte er. Er habe so viel Positives von diesen jungen Männern mitbekommen. Das muss am Schluss das Ziel sein. Jammern und in der Grube unten sitzen bringt niemandem etwas.

Haben Sie auch Projekte neben dem TV?

Mein neustes Projekt ist ein Bühnenprogramm, das ich zusammen mit meinem Radio-Moderationskollegen Tom Gysler und unserem Produzenten Stephan Lütolf realisiert habe. Wir widmen uns dem «mittleren Alter». Also diesem komischen Zustand von «nicht mehr jung» aber auch nicht richtig alt. Offenbar sprechen wir damit vielen aus dem Herzen. Das Programm läuft super, alle Vorführungen sind ausverkauft.

 

Noch mehr Arbeit?

Für meine Umwelt ist das gut. Wenn es mir langweilig wird, wird es mühsam mit mir. Man muss mich beschäftigt halten. Das tut mir besser als ein Wellness-Urlaub.

 

Wo bleibt die Work-Life-Balance?

Auch wenn es wie ein Klischee klingt, die finde ich in meinem gepachteten Schrebergarten mitten in Zürich. Ich habe auch Hühner. Jeden Morgen füttere ich sie, und jeden Abend bringe ich sie wieder in den Stall.
Es würde allen Menschen guttun, wenn sie ein Stück Erde bewirtschaften könnten, glaube ich. Kürzlich brachte ich die letzten Tomaten aus dem Garten heim. Sie waren fleckig und zum Teil schon von Schnecken angeknabbert. «Die kann man doch nicht mehr essen!» meinte mein Sohn. Aber wer weiss, wie viel es braucht, dass ein Gemüse überhaupt wächst, wird es auch nicht so schnell wegwerfen. Das ist auch ein Schritt im Kampf gegen Food Waste.

 

Sind Sie in dem Fall auch eine gute Köchin?

Ich habe keine hohen Ansprüche an mich, was das Kochen anbelangt. Ich finde, man darf auch einfach kochen, damit man etwas zu essen hat. Meine Mutter kam vom Runggelnputzen rein und hatte nicht eine Stunde Zeit, zu kochen. Man schaut, was da ist, und versucht aus dem etwas Gutes zu machen. Wenns schmeckt und satt macht, reicht das völlig aus. Man kann nicht überall die Top-Performerin sein.


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