2023–01–19T14:41:23GMT+0100
anna pearson mit kuro schweinen

«Die Frage ist nicht, ob wir Fleisch essen sollen oder nicht.»

Nachdem die Köchin und Autorin Anna Pearson mit dem Buch «Pasta» geradezu ein Standardwerk der Teigwarenherstellung geschrieben hat, recherchiert sie nun für ein neues Projekt. Ein Buch, das «Fleisch» heissen soll. Darin hinterfragt sie die «industrielle Fleischproduktion», wie sie sie nennt, kritisch und sucht nach Wegen, wie Tierwohl, Ökologie, Ethik und letztlich die Fleischqualität am besten in Einklang gebracht werden können. Dafür besucht sie Betriebe, die eine extensive Art der Fleischproduktion betreiben. Deshalb ist sie an diesem Tag zu Besuch bei Fabio Müller und seinen Schweinen. Auch er interessiert sich für einen nachhaltigen Fleischkonsum und importierte vor ein paar Jahren die alte, englische Schweinerasse Berkshire in die Schweiz. Die Tiere sind auch in Japan zu finden, weil die Engländer dem Inselstaat einst ein solches als diplomatisches Geschenk überreicht haben.

Dort heissen sie «Kurobuta», was so viel wie «schwarzes Schwein» heisst. Müller nennt die Tiere und sein Unternehmen deshalb «Kuro». Er ist der Besitzer der Schweine, hält sie aber in Kleingruppen auf Bauernbetrieben wie jenem von Monika Wartenweiler im thurgauischen Häuslenen, wo die Tiere das ganze Jahr auf der Weide verbringen. Nach fünfzehn Monaten werden sie geschlachtet. Damit leben sie gut drei Mal so lang wie Schweine auf konventionellen Mastbetrieben. Durch die extensive Weidehaltung und die spezifische Zucht enthalte das Fleisch besonders viel der für den Menschen wertvollen Omega-3-Fettsäuren, wie laut Müller eine Laboranalyse ergeben habe. Anna Pearson ist von dieser Art der Fleischproduktion überzeugt. Wenn sie Schweinefleisch kocht, dann dieses oder solches aus vergleichbarer Haltung.

anna pearson mit kuro schwein

Köchin Anna Pearson besucht die Schweine, deren Fleisch sie später kocht.

Paniertes Fleisch

Ein Cordon bleu aus besonderem Schweinefleisch mit Bergkartoffel-Blumenkohl-Salat.

«Ich interessiere mich für alle Lebensmittel. Fleisch scheint mir aber das komplexeste.»

«Schweizer Bauer»-Magazin: Warum haben Sie für Ihr neues Buch gerade das Thema Fleisch gewählt? 
ANNA PEARSON: Ich interessiere mich für alle Lebensmittel. Fleisch scheint mir aber das komplexeste. Bei meinen Recherchen merkte ich, dass ich bisher wenig über die Fleischproduktion wusste und dass vielen Menschen ebenfalls Kenntnisse fehlen, was zu einem Konsum führt, der sich oft negativ auf das Tier, die Umwelt und auch auf den Menschen auswirkt. Ich will mit meinem Buch deshalb Wissen zugänglich machen, damit Konsumentinnen und Konsumenten sinnvolle Kaufentscheide treffen können. Zudem ist die Diskussion rund um das Thema Fleisch seit einigen Jahren stark von Schwarz-Weiss-Denken geprägt, dem möchte ich etwas entgegensetzen und eine differenzierte Auseinandersetzung anstossen.

Ist Fleischkonsum noch vertretbar?
Damit es Fleisch gibt, muss ein Tier sterben. Das wirft moralische und ethische Fragen auf, die mich nicht kalt lassen. Ich mache mir Gedanken, inwiefern es vertretbar ist, ein Lebewesen zu töten, um es zu essen. Ich glaube aber, dass Fleischessen etwas Natürliches ist. Viele Tiere tun es und der Mensch ist seit jeher Allesfresser. Hätten unsere Vorfahren kein Fleisch gegessen und nicht herausgefunden, wie man Lebensmittel gart, hätten sich unsere Gehirne nicht dahingehend entwickelt, dass wir heute in Büros sitzen und Texte über den allfälligen Verzicht auf Fleisch schreiben können. Wir wären wohl noch immer im Wald und würden den ganzen Tag Beeren suchen.

kuro schwein auf weide

«Nach fünfzehn Monaten werden die Kuro-Schweine geschlachtet. Damit leben sie gut drei Mal so lang wie Schweine auf konventionellen Mastbetrieben.»

Wäre Veganismus also die konsequentere Lebensform?
Mich überzeugt das Konzept einer vielseitigen Ernährung mit möglichst lokal, ökologisch und fair produzierten Lebensmitteln auf vorwiegend pflanzlicher Basis mit bewusstem Genuss von Fleisch, Milchprodukten und Eiern. Tiere sind Teil einer nachhaltigen, kleinbäuerlichen Landwirtschaft, und es gibt für mich keinen Grund, sie aus unserer Ernährung zu verbannen, wenn sie aus nachhaltiger Produktion stammen. Tiere können sogar gezielt im Kampf gegen den Klimawandel eingesetzt werden, etwa indem sie Gebiete, die von Desertifikation, also von durch den Menschen und den Klimawandel verursachter Wüstenbildung, betroffen sind, durch gezielte Beweidung wieder fruchtbar machen. Anstatt alle Arten der Produktion tierischer Lebensmittel zu boykottieren, finde ich einen selektiven Konsum sinnvoll, der eine kleinstrukturierte, nachhaltige Landwirtschaft unterstützt. Mir hat eine Biobäuerin, die eine vorbildliche Mutterkuh-Haltung praktiziert, erzählt, dass sie einen Teil ihrer Kundschaft verliert, weil sich einige meist junge, bewusste Konsumentinnen und Konsumenten plötzlich vegan ernähren. Das scheint mir eine bedenkliche Entwicklung, zumal der Konsum von industriell produziertem Fleisch gleichzeitig unverändert hoch bleibt.

Eine standortangepasste Fleischproduktion von lokalen Kleinbauern ist also nachhaltig. Was noch?
Nicht zu viel Fleisch zu essen und nicht nur Edelstücke zuzubereiten. Würden wir alle Teile eines Tieres essen, müssten insgesamt weniger Tiere geschlachtet werden. Mit der richtigen Zubereitung werden auch Innereien zur Delikatesse. Zudem geht oft vergessen, dass gerade Schmorstücke viel einfacher zuzubereiten sind als Edelstücke und ausgezeichnet schmecken. Es gibt kaum etwas Besseres als ein stundenlang bei niedriger Hitze geschmortes Ragout oder eine würzige orientalische Tajine. Viele Menschen trauen sich nicht, diese Stücke zu kochen, weil sie nicht wissen, wie. Auch dem will ich mit meinem Buch entgegenwirken. Dafür befasse ich mich mit den chemischen Prozessen, die bei der Fleischzubereitung ablaufen. Wenn man etwa versteht, wie sich Muskelfasern und Bindegewebe beim Erhitzen verhalten, kann man zähe Fleischstücke in saftig-weiche Gerichte verwandeln und ein Kotelett perfekt auf den Punkt braten. Diese meiner Meinung nach entscheidenden Fakten fehlen meist in Rezepten.

Gruppenbild vor Stall

Bäuerin Monika Wartenweiler, Schweinehalter Fabio Müller und Köchin Anna Pearson.

Schmeckt Fleisch aus nachhaltiger Produktion besser?
Erstens kann man auch das beste Stück Fleisch durch falsche Zubereitung ruinieren. Zweitens ist es zu simpel, zu sagen, dass alles, was ökologisch und nachhaltig produziert wurde, grundsätzlich besser schmeckt. Dass solche Produkte gesünder sind, davon bin ich allerdings überzeugt. Für eine optimale kulinarische Qualität braucht es aber noch mehr. Wenn ein Tier bei der Schlachtung zum Beispiel Stress erlebt, wirkt sich das negativ auf die Fleischqualität aus. Auch die Fleischreifung ist für die Qualität sehr wichtig. Aber ja: Für mich ist der Genuss eines Stücks Fleisch grösser, wenn ich weiss, dass eine nachhaltige Philosophie hinter der Produktion steckt, dass Tieren während ihres Lebens Respekt entgegengebracht wurde und dass Menschen mit viel Herzblut am Werk waren.

Kann Fleischkonsum nachhaltig sein?
Ja. Aber man muss sich damit auseinandersetzen, von welchen Tieren das Fleisch stammt, wie sie gelebt und was sie gefressen haben. Gerade das Futter ist ein wichtiger Punkt: Wir essen grosse Mengen Schweinefleisch und Poulet aus Intensivmast. Für diese Produktion braucht es viel energiereiches Kraftfutter wie Getreide, Soja und Mais. Diese Produkte könnten wir Menschen auch direkt essen – das wäre ökologisch sinnvoller und würde insgesamt mehr Menschen satt machen. Wir sind hier in der Verantwortung, unseren Konsum anzupassen. Schweinefleisch, Poulet und auch Eier sollten eigentlich Luxusprodukte sein. Und Ziel sollte es sein, dass diese Tiere nicht mit für den Menschen geeigneten Lebensmitteln gefüttert werden, sondern möglichst mit Nebenprodukten, etwa aus der Müllerei – Schweine und Hühner waren früher sinnvollerweise Resteverwerter.

Anna füttert Kuro Schwein

Pearson hat Respekt vor den Tieren, deren Fleisch sie isst.

Kuro Schwein

Ein junger Kuro-Eber auf der Weide.

Anna bei den Kuro Schweinen

Pearson ist von der Haltung dieser Schweine überzeugt.

Was ist mit Rindfleisch?
Das Fleisch von Wiederkäuern, die nur Gras und Heu fressen, ist die nachhaltigste Wahl, gerade hier in der Schweiz mit unseren Alpen. Wiederkäuer sind ein wahres Wunder der Natur. Sie fressen Gras, das wir Menschen nicht verdauen können, und verwandeln es in wertvolle Nahrungsmittel: Milch und Fleisch. Bei gutem Weidemanagement erhöhen Kühe, Schafe und Ziegen die Bodenfruchtbarkeit und die Grasqualität. Das Grasen der Tiere regt das Wurzelwachstum an, so dass ein beweideter Boden mehr Co2 speichern kann als einer, auf dem keine Tiere grasen. Bei entsprechender Haltung sind Kühe also keine Klimakiller – im Gegenteil.

Was gilt es darüber hinaus zu bedenken?
Dass bei der Eier- und Milchproduktion Fleisch anfällt. Kühe geben nicht einfach so Milch. Sie müssen Kälber gebären, damit die Produktion angeregt wird. Für jeden Liter Milch fallen einige Gramm Kalb- oder Rindfleisch an. Die Eierproduktion bringt das Fleisch der ausgedienten Legehennen und Bruderhähne mit sich. Milchtrinken und Eieressen bedeutet, dass Tiere sterben. Vegetarismus ergibt so gesehen keinen Sinn. Gleichzeitig kann man argumentieren, dass Menschen, die sich vegetarisch ernähren, einen Teil des übermässigen Fleischkonsums anderer kompensieren, und das ist ja nichts Schlechtes.

Fleisch auf Brett

«Würden wir alle Teile eines Tieres essen, müssten weniger geschlachtet werden. Mit der richtigen Zubereitung werden auch Innereien zur Delikatesse.»

würste auf Papier

Pearsons selbstgemachte Luganighe.

Schweineteile auf Brett

Pearson verarbeitet auch Schweinszüngli und -füssli. Zum Beispiel zu Schwartenmagen.

Menu auf Teller

Rinderrippen kennt man bei uns weniger, sie sind aber auch köstlich.


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