Schweizer Wolle hat harte Zeiten durchgemacht. Heute befindet sie sich dank dem bayerischen Wollproduzenten Friedrich Baur und dessen Leidenschaft fürs Kochen im Aufwind.
Wie argentinischer Knoblauch Schweizer Wolle rettete
Bilder ― Christof Skofic, Julian Bauer
und Attila Janes
Text ― Therese Krähenbühl-Müller
«Schafe sind die Kühe der armen Leute»
«Schafe sind die Kühe der armen Leute», sagte man früher. Dieser Ausspruch kommt nicht von ungefähr, da Schafe mit ihrer robusten und genügsamen Art dort weiden und überleben, wo sich Kühe und Ziegen nicht mehr wohlfühlen, und weil es nicht grosse Flächen und fruchtbares Land braucht, um sie zu halten. Unwegsames Gelände und karge Böden sind für Schafe kein Problem. Damit leisten sie einen grossen Beitrag zum Erhalt der Kulturlandschaft und der Biodiversität. Auch ihre Milch und ihr Fleisch sind gefragt. Übrig bleibt die Wolle.
Baum- statt Schafwolle
Um die Problematik der Schweizer Wolle zu verstehen, muss in die Vergangenheit geblickt werden. Archäologische Funde belegen, dass die Wolle spätestens mit der Domestizierung von Tieren während der neolithischen Revolution, die in Europa zwischen 5800 bis 4000 vor Christus stattfand, eine grosse Bedeutung erlangte. In dieser Zeit wurden die Menschen sesshaft, domestizierten Tiere und begannen deren besondere Eigenschaften durch Züchtung zu verstärken. Da das Schaf Milch, Fleisch und Wolle liefert, war seine Haltung sehr attraktiv. Weil Wolle isolierende Eigenschaften hat und trotzdem wärmeausgleichend und zusätzlich wasserabweisend ist, waren Wollstoffe beliebt und teuer. Bereits im 8. Jahrhundert war Wolle in England der Exportschlager, und die Wollproduktion sorgte für grossen Wohlstand und wirtschaftlichen Aufschwung. Es war ausgerechnet das Aufkommen und der Import der Baumwolle aus den Kolonien in Amerika, die die Bedeutung der Wolle in Europa schwächte. Baumwolle konnte günstiger und einfacher produziert werden. Später kamen Kunstfasern aus Erdöl dazu, die die Wolle weiter verdrängten.
Der Wolle treu geblieben
Dass die Schweizer Wolle heute wieder einen besseren Stand hat, verdankt sie Friedrich Baur und argentinischem Knoblauch. «Mir wurde die Liebe zur Wolle in die Wiege gelegt», sagt Baur. Die Familie des umtriebigen Unternehmers aus dem bayerischen Dinkelsbühl führt seit 1913 ein Wollunternehmen. «Unser Betrieb ging seit seiner Gründung durch etliche Hochs und Tiefs. Der Wolle sind wir aber immer treu geblieben.» Diese Wolle kam lange Zeit nicht mehr aus Deutschland oder Europa, sondern unter anderem aus Argentinien. «Eines Abends stand ich in der Küche, habe mir meinen Bio-Knoblauch angesehen und festgestellt, dass der auch aus Argentinien kommt. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich lebe im Knoblauch-Land und kaufe Bio-Knoblauch aus Argentinien. Wir haben Schafbauern vor der Haustüre und importieren Wolle aus Argentinien. Das geht doch nicht.» Diese Erkenntnis nahm Baur zum Anlass, die Produktion in der Dinkelsbühler Walkmühle umzustellen. «Wir starteten damit, den Wollimport aus Übersee immer weiter zurückzufahren. Unser Ziel war es, nicht mehr von den internationalen Märkten abhängig zu sein.»
Verhandlungsgeschick und Überzeugungsarbeit
Während Baur den Fokus auf europäische Wolle richtete, erlebte die Schweizer Wolle bewegte Zeiten. Die subventionierte Inlandwollzentrale (IWZ) in Niederönz wurde geschlossen. Die Schweizer Wolle fand keinen Absatz mehr. Marketing dafür wurde nie betrieben. «Der damalige Vorsitzende des Schweizer Schafzuchtverbandes, Martin Keller, kontaktierte mich, weil die Schweizer Schafzüchter nach neuen Absatzmöglichkeiten suchten», erinnert sich Baur. «Wir hatten immer schon mit Schweizer Unternehmen und Kunden zusammengearbeitet. Und da wir eben gerade in der Umstellung auf europäische Wolle waren, war ich so verrückt und kaufte 400 Tonnen Schweizer Wolle.» Es brauchte einiges an Verhandlungsgeschick und Überzeugungsarbeit, den Schweizer Matratzenhersteller, den Baur schon lange mit Wolle belieferte, zu überreden, auf die einheimische Wolle umzustellen, die teurer war. Es gelang ihm, und heute ist die Schweizer Wolle nicht mehr aus den Matratzen wegzudenken.
«Wir haben Schafbauern vor der Haustüre und importieren Wolle aus Argentinien. Das geht doch nicht.»
Ein Label für Schweizer Wolle
Um der Schweizer Wolle noch mehr Bedeutung zu verleihen, gründete der Wollproduzent 2009 das Label Swisswool. «Damals war das Verständnis für den Wert von kurzen Wegen, kleinen Kreisläufen und lokalen Ressourcen noch etwas weniger gross. Heute ist das Label ein Qualitätssiegel, das den Ursprung des Rohstoffs bei den lokalen Schweizer Schafbauern garantiert.» Mittlerweile werden unter dem Label Swisswool zahlreiche Produkte von verschiedenen Partnern in der Schweiz hergestellt. «Es sind nicht mehr nur Matratzen, die aus Schweizer Wolle produziert werden», sagt Baur. Sogar in die Produktion von Outdoorbekleidung hat die Wolle Eingang gefunden. «Es wurde über die Jahre sehr viel in die Forschung investiert und immer mehr Materialien entwickelt, von denen aber keines an die thermo- und feuchtigkeitsregulierenden Eigenschaften der Schafwolle herankommt.» Einzig die Beschaffenheit der Schweizer Wolle stellt bei der Produktion von Kleidern eine gewisse Herausforderung dar.
«Schafe aus dem Berggebiet haben eine grobe und kratzige Wolle, die sich schlecht direkt auf der Haut tragen lässt.» Er habe schon mit einigen ambitionierten Unternehmern Diskussionen geführt, die aus Schweizer Wolle Pullover herstellen wollten. «Wird ausschliesslich Schweizer Wolle verwendet, sind diese einfach zu kratzig.» Darum kommt die Wolle in Outdoorbekleidung von Swisswool als Isolation zum Einsatz. «Wo sich Schweizer Wolle auch wunderbar bewährt, ist im Bau- und Interiorbereich. Dazu haben wir in den vergangenen Jahren zahlreiche spannende Produkte entwickelt. Das geht von Isolationsmaterial über dekorative Akustikpaneele, mit denen die Schallausbreitung in einem Raum reduziert werden kann – sie werden unter dem Namen Woopies vertrieben –, bis zu unseren neuen Schwarznasenschafteppichen.» Letztere bringen den Unternehmer besonders ins Schwärmen: «Bisher war es schwierig, diese Wolle zu einem Produkt zu verarbeiten. Aber als Teppich funktioniert sie wunderbar.»
«Es sind nicht mehr nur Matratzen, die aus Schweizer Wolle produziert werden.»
Alles wird verarbeitet
Dass alle Wolle verarbeitet werden kann, ist Baur ein grosses Anliegen. Zweimal pro Jahr – im März oder April und im September oder Oktober – werden die Schafe in der Schweiz geschoren. Die Produzentinnen können die Wolle dann an Sammelstellen abgeben. Danach wird sie sortiert und in verschiedene Kategorien eingeteilt. Das geht von der A-Weiss-Wolle, die vom Weissen Alpenschaf stammt und für Duvets, Skijacken und Akustikpaneele verwendet wird, bis zur Mischwolle, die alles enthält, was nicht in andere Kategorien passt, und bei Wärmedämmplatten zum Einsatz kommt, bis zur Restwolle, die zu Düngerpellets verarbeitet wird.
«Im Sinne der Nachhaltigkeit kaufen wir alle Wolle und schauen, was sich daraus machen lässt», betont Baur. Ideen für neue Produkte habe er noch viele. «Ich bin überzeugt, dass sich die Schweizer Wolle im Aufwind befindet.»
«Im Sinne der Nachhaltigkeit kaufen wir alle Wolle und schauen, was sich daraus machen lässt.»