Riten und Gebete zum Schutz der Ernte und Dank dafür sind so alt wie die Menschheit selbst. Bewusster Konsum kann eine moderne Variante davon sein.
Erntedank
Bilder ― Attila Janes,
Therese Krähenbühl-Müller, ZVG
Text ― Therese Krähenbühl-Müller
«Das Leben mit den Jahreszeiten und den Zyklen der Natur prägte die Riten der Menschen in der Frühzeit.»
Die Landwirtschaft ist in vielen Bereichen unberechenbar, und einige Faktoren wie das Wetter, Schädlinge und Krankheiten lassen sich nur bedingt oder gar nicht beeinflussen. Es erstaunt also wenig, dass die Menschen seit jeher den Wunsch und das Bedürfnis hatten, die Götter gnädig zu stimmen und um Schutz für ihre Ernte zu bitten.
Alte Feste
Das Leben mit den Jahreszeiten und den Zyklen der Natur prägte die Riten der Menschen in der Frühzeit. So kannten bereits die Germanen Feste, bei denen bei der Aussaat um guten Ertrag, während des Sommers um Schutz vor Unwetter gebetet und am Ende des Sommers mit Opfergaben an die Götter für den reichen Ertrag gedankt wurde. Auch wird davon ausgegangen, dass das Mittsommerfest, das noch heute in nordischen Ländern am 21. Juni zur Sommersonnenwende gefeiert wird, dazu diente, die Götter um den Schutz vor Sturm, Hagel und Dürre zu bitten. Doch nicht nur im Norden Europas waren solche Riten verbreitet. Ein wichtiger Ursprung des heute noch gefeierten Erntedankfestes liegt im Judentum. So waren das Passahfest, aus dem später Ostern wurde, und das Schawuot, das 50 Tage nach Passah gefeiert wird und die Vorlage für Pfingsten bildete, auch Erntesegenfeste. Das Laubhüttenfest wiederum fiel mit dem Abschluss der Erntezeit in Palästina zusammen, und obwohl es an den Auszug der Israeliten aus Ägypten erinnert, gilt es auch als Erntedankfest.
«Eine Art von Erntedank ist auch, wenn man Gemüse so isst, wie es gewachsen ist. Wenn man es nicht aufgrund einer unregelmässigen Form, die nicht den gängigen Normen etwa von Grossverteilern entspricht, wegwirft.»
Typisch amerikanisch
In der christlichen Tradition gibt es zahlreiche Ausgestaltungen und auch unterschiedliche Daten für den Erntedank. Traditionellerweise wird ab Ende September bis in den November hinein für die Ernte gedankt. Durch diverse amerikanische Filme und TV-Serien ist bei uns der amerikanische «Thanksgiving Day» sehr bekannt. Dieser fällt jeweils auf den vierten Donnerstag im November und ist ein staatlicher Feiertag. Im Gegensatz zum Erntedankfest in Europa ist «Thanksgiving» nicht ein reines Erntedankfest. Vielmehr wird an diesem Tag, in Erinnerung an die Pilgerväter, also die ersten Siedler Amerikas, für alles Gute und den Erfolg gedankt. Das Ganze ist ein wichtiger Feiertag für die Familien, an dem traditionellerweise ein Truthahn gegessen wird.
Michaelis und Martini
In ländlichen und christlich geprägten Gebieten Europas ist der Erntedank oft auch mit Heiligenfesten verknüpft. So wird vielerorts der Erntedank am Sonntag nach Michaelis, dem Feiertag zu Ehren des Erzengels Michael am 29. September, gefeiert. Traditionellerweise wurde früher auch mancherorts der Martinstag am 11. November als ein Art Erntedankfest zelebriert. Zeitgleich ist Martini der offizielle Abschluss des Bauernjahres und der Tag, an dem die Pächter ihren Lehensherren den Zehnten, also je einen Zehntel ihrer Ernte und ihrer Tiere abzuliefern hatten.
Erntedank neu interpretieren
Während der religiöse Aspekt des Erntedankes durch die zunehmende Säkularisierung verloren geht, hat er in Zeiten, in denen die Ernährung für viele Menschen wieder eine sehr grosse Rolle spielt, durchaus seine Berechtigung. Die Frage nach der Ernährungsform selbst scheint teilweise die Religion zu ersetzen und sorgt oft für heftige Debatten. Zeitgleich nimmt das Bewusstsein dafür, dass es nicht selbstverständlich ist, jeden Tag vor einem reich gedeckten Tisch zu sitzen, zu. Gerade dieser Umstand kann als Anlass genommen werden, die Schätze der Landwirtschaft bewusst und vielleicht auch mit einem Festessen mit Freunden und Familie zu feiern und dafür zu danken.
Regionales Gemüse geniessen und zelebrieren
Text ― Therese Krähenbühl-Müller
Saisonales und regionales Gemüse zu konsumieren, ist vielen Menschen ein Anliegen und kann ebenfalls eine Art des Erntedankes oder zumindest eine schöne Anerkennung für die Produkte aus der hiesigen Landwirtschaft sein. Besonders einfach geht das, wenn man das Gemüse direkt nach Hause geliefert bekommt. 2014 hatte die Journalistin Martina Wacker anlässlich einer Reportage über ein Gemüse- und Früchteabo im Kanton Bern die Idee, das ebenfalls für Zürich auf die Beine zu stellen. So entstand Bio Mio. Das Gemüse in den Körben stammt von verschiedenen Bio-Landwirtschaftsbetrieben in Zürich und Umgebung, wird in der Stiftung zur Weid abgepackt und von dort aus im ganzen Kanton Zürich sowie verschiedene Regionen in Schwyz und Zug ausgeliefert. Für die Abonnentinnen und Abonnenten ist der Korb jeweils eine Wundertüte. «Unser Grundsatz ist, dass es in jedem Korb Salat, Kartoffeln und Rüebli hat. Der Rest des Inhalts richtet sich nach der Saison. Zusätzlich können die Bio-Mio-Kunden ihre Bestellung mit Milchprodukten, Eier und Brot ergänzen. Fleisch wird auf Bestellung separat verschickt», erklärt Martina Wacker. Bei einem Gemüsekorb müsse aus dem was gemacht werden, was man bekommt. «Das ist nicht für jeden etwas. Anderseits liegt darin auch genau die Chance, regionale und saisonale Produkte kennenzulernen und etwas Neues auszuprobieren.» Um den Kundinnen und Kunden das Kochen zu erleichtern, werden auf der Webseite sowie in der App von Bio Mio jeweils einfache Rezepte, die zum aktuellen Korb passen, aufgeschaltet. So endet die Reise vom Hof über die Stiftung zur Weid auf dem Teller der Abonnentinnen und Abonnenten, die schliesslich ein gutes und gesundes Essen auf dem Tisch haben. Erfreulicherweise sind Angebote wie Bio Mio mittlerweile so beliebt, dass es sie vielerorts gibt. Oft bieten mittlerweile sogar Gemüse-Produzenten direkt ihre eigenen Gemüsekisten im Abo an.
Good market
Text ― Julia Spahr
Eine Art von Erntedank ist auch, wenn man Gemüse so isst, wie es gewachsen ist. Wenn man es nicht aufgrund einer unregelmässigen Form, die nicht den Normen etwa von Grossverteilern entspricht, wegwirft. Lebensmittelverschwendung oder Food Waste, wie der gängigere, englische Begriff lautete, stellt ebenso ein ökologisches wie ein Problem für die weltweite Versorgungssicherheit dar, denn ein Drittel aller Lebensmittel wird verschwendet. Als solche gelten jene, «die für den menschlichen Konsum produziert wurden und auf dem Weg vom Feld bis zum Teller verloren gehen oder weggeworfen werden», heisst es auf der Seite von foodwaste.ch. «Dabei entsteht Food Waste auf allen Stufen der Lebensmittelherstellung. Zum Beispiel in der Landwirtschaft, weil sich die Lebensmittel aufgrund von Normanforderungen nicht für den Verkauf eignen. Im Restaurant, wenn Tellerreste oder Buffetüberschüsse entsorgt werden, oder in den Haushalten, wenn wir zum Beispiel den letzten Schluck in der Flasche nicht mehr trinken», heisst es weiter.
Mittlerweile haben verschiedene Organisationen dem Food Waste den Kampf angesagt. Foodwaste.ch, eine Initiative der OGG Bern (Herausgeberin des «Schweizer Bauer»), hat zum Beispiel diverse Projekte dazu. Und es gibt junge Geschäftsleute, die sich der Sache verschrieben haben. Zum Beispiel die Firma Good Market der Zürcher Raphael Simmen und Boaz Barcikowski. Die beiden kaufen lokalen Bäuerinnen und Bauern überschüssiges und optisch nicht perfektes Bio-Gemüse zu einem fairen Preis ab und verkaufen es in sogenannten «Retterpaketen» als Abo oder auf Einzelbestellung an ihre Kundschaft weiter. Um Food Waste im grösseren Stil zu reduzieren, arbeiten sie auch mit Grosskunden zusammen: Sie vernetzen lokale Lebensmittelproduzenten direkt mit der ansässigen Gastronomie. So kann krummes Gemüse auch in Restaurants und Kantinen verkauft und muss nicht weggeworfen werden.