Im dritten Teil der Kräuter-Serie will unsere Autorin ins Gras liegen und in der Natur baden. Aber erst, nachdem sie auf dem Ökohof Laubegg gelernt hat, was man mit Ringelblumen machen kann.
Blütenreiner Essig
Bilder ― Nina Kobelt
Text ― Nina Kobelt
«Droge heisst nichts anderes als ‹getrocknet› auf Niederländisch.»
Es mag seltsam klingen, aber was mir als Erstes in den Sinn kommt, wenn ich an Verena denke, ist Essig. Das Bild von den Regalen in ihrem Keller, auf denen Dutzende Kräuteressige stehen, alle selbst angesetzt, hat sich in meinem Kopf eingebrannt. Aber von Anfang an.
Seit Mai besuche ich das Kräuterseminar, das vom Kompetenzzentrum Inforama angeboten wird. Es geht um die einheimische Kräuterwelt im weitesten Sinne, die Kurse heissen zum Beispiel «Wildpflanzen in der Küche», «Verarbeiten von Heilpflanzen» oder «Kräuter hegen und pflegen».
Ich liebe das Seminar. Am Ende eines Kurstages lächle ich jeweils belämmert vor mich hin, wahrscheinlich so, als ob ich eine bewusstseinserweiternde Droge eingeworfen habe. Wobei: Droge, das habe ich natürlich als etwas vom Ersten gelernt, Droge heisst nichts anderes als «getrocknet» auf Niederländisch. Lustig, weil das Seminar das Gegenteil von trocken ist.
Ich stehe ja noch ganz am Anfang und mein Halbwissen über Pflanzen ist noch weit davon entfernt, auch nur ein Dreiviertelwissen zu werden. Aber selbstverständlich habe ich mir schon eine Mini-Destille gekauft, um duftende Hydrolate (Pflanzenwässer mit ein wenig ätherischem Öl) aus allem herauszuholen, was mir gerade in den Weg wächst.
Auf die Idee gebracht hat mich Verena Gerber. Sie ist unter anderem Dozentin in unserem Seminar, sie unterrichtet «Heilsame Pflanzenkräfte». Wobei man bei «unterrichten» ja an ein Schulzimmer denkt, mit Leinwand und Computer und so. Da (im Vorlesungssaal) waren wir mit ihr auch, klar, aber vor allem draussen. Unter anderem auf ihrem Ökohof Laubegg zwischen Zweisimmen und Boltigen.
Was ist ein Ökohof?
Der von Verena und ihrer Geschäftspartnerin Marianne Krebs ist vieles. Ein Postkartenidyll. Ein Blumenparadies. Ein Kräutergarten. Lebensraum für Wildkleintiere, für Insekten, für Eidechsen – und eine Schlange (die sich zwischen den Steinen versteckt, gerade als ich ankomme). Hügelbeete, Hochbeete, Pyramidenbeete, es gibt eine Pflanzenkläranlage und einen Teich. Vor allem aber ist dieser Natur-Heilpflanzen-Garten ein Ort, an dem man sich ins Gras legen und für den Rest des Tages (oder der Woche) in die Natur eintauchen will.
Verena und Marianne – und die Praktikantinnen und Praktikanten, die manchmal auf dem Hof mithelfen, – kultivieren hier Pflanzen für den Eigengebrauch, vor allem aber für Alpmed in Zweisimmen, einen kleinen, anthroposophisch ausgerichteten Betrieb, der neben einer Gesundheitspraxis auch ein Laden ist: Hier werden Pflanzentüchlein, Frischpflanzenöle, verschiedene Globuli, Tinkturen und vieles mehr angeboten. Alle Pflanzen für diese wundersamen Dinge stammen vom Hof, Verena und Marianne sind sozusagen die «nächste Generation von Alpmed» (das es schon länger gibt).
Mich fasziniert das Wissen der beiden Frauen, die zu jeder Zeit mit der Umgebung auf ihrem Hof zu verschmelzen scheinen. Eines ihrer Ziele ist ja auch: die Wildheit der Gegend pflegen. Das sagt Verena, als wir auf das Thema Permakultur zu sprechen kommen. Auf der Laubegg werde eben auch Wildkultur betrieben. Manchmal müssen sie eine Pflanze eingrenzen, manchmal lassen sie was spriessen. Sogar hie und da ein Einjähriges Berufkraut, den invasiven Neophyten, der gerade allenthalben bekämpft wird. Denn vielleicht, so Verena, hat es ja auch einen Grund, dass das Kraut hier wächst, es ist eine milde Heilpflanze und man könnte es sogar im Salat mitessen.
«Mich fasziniert das Wissen der beiden Frauen, die zu jeder Zeit mit der Umgebung auf ihrem Hof zu verschmelzen scheinen.»
Werde ich nicht tun. Aber alles andere zu Herzen nehmen, von dem die beiden reden. Zum Beispiel sagt Marianne, es sei wichtig, dass man eine Pflanze erlebt. Von der Aussaat bis zur Ernte. Oder dass Johanniskraut (es ist Juli, als ich sie besuche), an einem Blatttag (statt einem Blütetag) geerntet, nicht so rot wird, wenn man die Blüte zwischen den Fingern verreibt. Genau: Hier wird nach Aussaat-Kalender gearbeitet, die Unterschiede seien frappant, sagen sie.
Blatttage seien laut (anscheinend werden Geräusche besser übertragen), sagen sie auch, und vielleicht ist es Einbildung, aber ich finde plötzlich, es ist ein Höllenlärm im Paradies. Es ist ein schöner Lärm, eigentlich, Gezirpe und so, aber nicht mehr wegzudenken, wenn man ihn einmal bemerkt hat.
Es ist ein bisschen so, als ob sich die Pflanzen im Garten unterhalten.
Von Verena habe ich in den wenigen Tagen, an denen sie uns unterrichtetet, enorm viel gelernt. Auch Praktisches. Dass ich das Körbli mit Henkel, das mir seit Jahren immer im Weg ist, das ich aber nicht weggeben kann, weil es so hübsch ist, fürs Pflanzensammeln brauchen könnte. Oder einer meiner ungefähr fünfzig Stoffbeutel. Dass nur Olivenöl an der Sonne nicht ranzig wird. Ich kenne jetzt die Wirkung von einigen wenigen Heilpflanzen. Ich habe gemerkt, dass es eine doofe Idee ist, Zitronenmelisse und Borretsch gemeinsam zu destillieren, die wunderschönen Blüten verlieren ihre Farbe sofort, die Melisse verträgt das Destillieren schlecht und es riecht komisch.
Dass man Pflanzenöle am besten mit einem dieser Melittafilter abgiesst (auch die liegen in meiner Küche, obwohl ich gar keine Filterkaffeemaschine habe). Ich habe mir vorgenommen, öfter Thymian aufs Honigbrot zu verteilen oder ins Fondue zu geben, Thymian tut gut bei Erkältungskrankheiten oder eben präventiv, das wusste ich, hab mich aber nie danach gerichtet.
Womit ich zurückkomme auf die Essige. Auch ich habe bereits eine beachtliche Sammlung angelegt. In einem steckt Thymian, einen habe ich mit Salbei angereichert, und eine Flasche kommt fast täglich zum Einsatz trotz ihres undefinierbaren Inhalts, mir ist, als ob ich dort Estragon und Minze eingelegt habe, vielleicht mehr. Der Inhalt schmeckt super.
Und ja: Auch den Brennnesselhaarspray, den ich in der ersten Kolumne grossmundig angekündigt habe, sprühe ich mir seit kurzem öfters auf den Kopf. Dafür habe ich Brennnessel in Apfelessig eingelegt und mit wenig Wasser vermischt.
Manchmal sind die einfachsten Dinge die besten.
Rezepte mit Ringelblumen
Ringelblumen bilden auch auf dem Ökohof Laubegg den Abschluss eines Sammeljahres – sie blühen bis in den September hinein. Am besten, man sammelt die Blüten zur Mittagszeit, idealerweise bei Sonnenschein. Dann legt man sie auf einem Tuch aus und wartet, bis sich alle Kleinstinsekten vom Acker machen konnten. Frische Ringelblumen machen sich gut auf jedem Salat. Oder man gibt sie zum Sonnentee dazu: Einen Glaskrug mit frischem Wasser auffüllen, eine Handvoll Blüten und Blätter (z.B. Melisse, Minze, Rosenblätter) hinzugeben und 1–2 Stunden an die Sonne stellen.
‣ Ringelblumenessig
Ringelblumenblüten zusammen mit Apfelessig in eine Flasche füllen.
‣ Ringelblumenöl
Ein leeres Gonfiglas locker mit Blüten auffüllen. Bio-Öl beigeben (Oliven-, Raps- oder Sonnenblumenöl), 6–8 Wochen ziehen lassen (ausser Olivenöl nicht an der Sonne), täglich schütteln, filtrieren (Kaffeefilter oder Baumwolltuch)
‣ alpmed.ch
‣ inforama.ch