2023–06–23T11:10:00GMT+0200

«Wenn es draussen ganz heiss ist, trinke ich gern mal ein Glas richtig kühles Bier.»

«Wenn es draussen ganz heiss ist, trinke ich gern mal ein Glas richtig kühles Bier.» Diese Aussage ist schon fast zur Floskel verkommen. Sie ist immer mal wieder zu hören, wenn es um das schaumige Getränk geht. Tatsächlich verbinden viele Bier mit einem Abend am Grill, einem Festival oder mit der Belohnung nach einer langen Wanderung. Bierkonsum gehört aber nicht nur in den Sommer, und vor allem reicht seine Geschichte weit zurück. «Schon zu den Urzeiten versammelten sich die Menschen abends am Feuer mit einem Kessel Getreidebrei. Schoben sie den etwas näher ans Feuer, bekamen sie Brot, schoben sie ihn etwas weiter weg, bekamen sie Bier.»

So beschreibt der Berliner-Weisse-Brauer Andreas Bogk die Anfänge der Bierkultur. Wohl etwas vereinfacht, aber sicher nicht falsch. Als Brot gebacken wurde, wurde auch Bier gebraut. Die ältesten Überlieferungen dazu sind rund 6000 Jahre alt und stammen von den Sumerern aus Mesopotamien, dem Gebiet zwischen dem heutigen Iran, Irak und Syrien. Forschende gehen aber davon aus, dass die Geschichte des Brauens wie auch die des Backens viel älter ist und mit dem Sesshaftwerden der Menschen, mit der Viehzucht und dem Ackerbau zusammenhängt. Vermutlich haben sich die Menschen bereits vor 11 000 Jahren etwas zusammengebraut.

Bierflasche

Single Hop Pale Ale von Familie Reutimann.

Eher eine Strafe

Jahrtausende später, im Mittelalter, war das Bierbrauen vor allem Sache der Mönche. Sie hatten gute Gründe, viel Zeit ins Kultivieren der Brauerei zu investieren. Denn zur Fastenzeit galt die Regel: «Was flüssig ist, bricht das Fasten nicht.» Um sicher zu sein, ob das auch aufs Bier zutraf, schickten die Glaubensbrüder der Legende nach eine Bierlieferung zum Papst. Auf dem Weg nach Rom wurde das Bier schlecht, und als der Papst das säuerliche Getränk probiert hatte, gab er sofort seinen Segen. Ihm schien Bier eher eine Strafe als ein Genuss zu sein und daher in der Fastenzeit unbedenklich. Bier war im Mittelalter aber nicht nur als Fastengetränk gefragt. Weil in Städten die Wasserversorgung schlecht und das Trinkwasser deshalb oft verschmutzt war, tranken sowohl Männer, Frauen als auch Kinder häufig Bier.

Durch den Brauvorgang wurden Krankheitserreger im Wasser abgetötet, weshalb Bier trotz des Alkoholgehalts die gesündere Alternative zu Wasser war. Zu den grossen Klosterbrauereien kamen im Laufe der Zeit immer mehr weltliche. Durch den Bau der Eisenbahn konnte Bier weiter transportiert werden. Der französische Chemiker und Mikrobiologe Louis Pasteur trug mit seiner Forschung rund um die Hefe und deren Bedeutung beim Brauprozess einen wichtigen Teil zum Geschmack und zur Qualität unseres heutigen Biers bei. 

Feld

So sieht die Braugerste auf dem Feld aus.

«Wollte man den gesamten Bedarf abdecken, bräuchte man für Braugerste eine Anbaufläche von 20000 Hektaren.»

Bierzutat

Sie wird später gemälzt und zur Bierzutat.

Ernte

Im Sommer wird die Brau­gerste geerntet.

Was ist von hier im Schweizer Bier?

Nicht zuletzt deshalb und dank neuer Kühlsysteme hat die Bierkultur bis heute überlebt. Auch bei uns. Wegen der sogenannten Swissness-Regel darf es sich trotzdem Schweizer Bier nennen. Es gibt aber seit einigen Jahren Bestrebungen, alle Zutaten des Biers in der Schweiz herzustellen. Rund um Hans Ramseier zum Beispiel. Der Dozent an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) im bernischen Zollikofen fing vor rund zehn Jahren zusammen mit Bauern an, versuchsweise Braugerste anzubauen. Sie gedieh.

Ramseier und einige junge Männer aus dem Umfeld der Hafl gründeten 2012 deshalb die «Interessengemeinschaft (IG) Mittellandmalz». Sie macht es sich zum Ziel, «die Produktion wie auch die Verarbeitung von Braugerste in der Region Mittelland nachhaltig aufzubauen, zu unterstützen und zu sichern», wie Stefan Gfeller von der IG sagt. Die jungen Männer der IG arbeiten mittlerweile mit Brauereien, Bierbegeisterten und über 170 Bauern aus dem Mittelland zusammen. Mit Gerste allein können Brauer aber nichts anfangen. Sie muss zuerst gemälzt werden. Damit sie keimt und so den Zucker, den es für die Alkoholproduktion braucht, freisetzt.

«Was flüssig ist,
bricht das Fasten nicht.»

Bierschaum
«Nicht befriedigend»

Die Mälzung war lange ein Punkt, der dem zweiten Teil des Ziels der IG, «die Verarbeitung von Braugerste soll in der Schweiz passieren», widersprach. Hierzulande gab es zwar ein paar Mälzereien, aber nur ganz kleine. Die IG musste deshalb die Braugerste jeweils nach Deutschland bringen, sie dort mälzen lassen, das Malz wieder zurückführen und den Brauereien verkaufen, die es zu Schweizer Bier verarbeiteten. «Das war nicht befriedigend», sagt Gfeller. Lange überlegten und planten sie von der IG deshalb, eine eigene Mälzerei aufzubauen. Sie verwarfen das Vorhaben schliesslich aus wirtschaftlichen Gründen. Als sie sich schon fast damit abgefunden hatten, dass sie weiterhin auf ausländische Verarbeiter angewiesen sein würden, meldete sich der Unternehmer Christoph Nyfeler.

Er wolle eine Mälzerei bauen. Und er tat es. Anfang letzten Jahres wurde in Lenzburg zum ersten Mal bei der «Schweizer Mälzerei AG» aus Braugerste Malz. Zur Freude der IG. «Es war ein Meilenstein», sagt Gfeller. Nun nimmt Nyfelers AG der IG das aufbereitete Getreide direkt ab, mälzt es und verkauft es an Brauereien. Zu Nyfelers Kundschaft gehören Brauereien, die in ihrer Produktpalette meist ein Bier haben, das ganz aus Schweizer Rohstoffen besteht. Zum Beispiel die Öufi-Brauerei aus Solothurn hat mit dem «Südfuss» ein 100-Prozent-Schweizer-Bier im Sortiment, und auch Aarebier stellt mit dem «Swiss Pale Ale» ein solches her.

Bier
Bier in Hand

«Es gibt eine interessierte Kundschaft,
die für dieses Bier gerne etwas mehr bezahlt.»

Bleibt Nischenprodukt

Gemäss dem Schweizer Brauereiverband haben wir hierzulande die höchste Dichte an Brauereien. 146 seien es pro Million Einwohner. Damit sind wir deutlich vor dem zweitplatzierten Tschechien mit seinen 57. Das heisst aber nicht, dass es deshalb besonders viel Bier gibt, das ganz aus Schweizer Zutaten besteht. Sie produzieren hauptsächlich mit Hopfen und Malz aus dem Ausland, 2020 sind rund 75 000 Tonnen Malz in die Schweiz importiert worden. Vor allem aus Deutschland und Frankreich. Vom Hopfen werden pro Jahr 200 Tonnen aus dem Ausland zugekauft. Zu 80 Prozent aus Deutschland. Denn die Schweizer Produkte sind teurer, und die Nachfrage nach Bier ist viel grösser, als dass wir sie mit hiesigen Rohstoffen decken könnten.

Schweizerinnen und Schweizer trinken pro Kopf und Jahr im Durchschnitt 52 Liter Bier. «Wollte man den gesamten Bedarf abdecken, bräuchte man für Braugerste eine Anbaufläche von 20 000 Hektaren», erklärt Gfeller. «Davon sind wir weit entfernt. Dieses Jahr sind wir bei knapp 330.» Es erstaunt also nicht, dass Gfeller sagt: «Hundertprozentiges Schweizer Bier wird ein Nischenprodukt bleiben.» Aber eins, das sich durch geschicktes Marketing und Storytelling der Brauereien gut vermarkten lasse. «Es gibt eine interessierte Kundschaft, die für dieses Bier gerne etwas mehr bezahlt», sagt er.

hopfen

Eine weitere wichtige Bierzutat: Der Hopfen.

Hopfen

Die Hopfenpflanze wächst hoch in den Himmel.

hopfen
Die Poesie des Hopfens

Zu diesem Nischenprodukt leistet auch Familie Reutimann aus dem zürcherischen Unterstammheim einen Beitrag. Sie hat sich der zweiten unerlässlichen Zutat des Biers verschrieben. Dem Hopfen. Während Malz die stabile Basis des Biers ist – für einen Liter braucht es 250 bis 300 g davon –, ist der Hopfen gewissermassen das poetische Element. Nur ein Gramm braucht es davon pro Liter. Aber es ist ein wichtiges. Es sorgt einerseits für die bessere Haltbarkeit des Biers, andererseits verleiht es ihm den bitteren Geschmack, den charakteristischen festen Schaum und den fruchtigen Duft.

Ein Bier, das besonders viel Hopfen enthält, ist das IPA. Das Indian Pale Ale. Während ihrer kolonialistischen Besatzung transportierten die Engländer per Schiff einiges Bier von Indien in die Heimat. Damit es auf der langen Reise nicht verdarb, setzten sie ihm nicht nur mehr Alkohol, sondern eben auch mehr Hopfen zu. Das IPA hat sich gehalten. Noch heute schmeckt es bitterer und hat einen fruchtig-blumigen Duft.

Bier auf Velo

«Ich führe Vertreter von Kleinbrauereien gerne zu den Hopfenpflanzen,
die etwa nach Zitrone, Mandarine oder Blaubeere riechen.»

Familie Reutimann ist fasziniert von dieser Pflanze, die bis zu 7,5 Meter in die Höhe wächst und elegante Dolden bildet. Während immer mehr Betriebe von der aufwendigen Hopfenproduktion wegkamen, wollten Reutimanns die Tradition ihrer Vorfahren weiterführen. Von den 16 Hektaren, auf denen in der Schweiz heute noch Hopfen wächst, zählen 4,1 zu ihren. Ihre Abnehmer sind Brauereien, die in ihrem Sortiment ein Bier ganz aus Schweizer Rohstoffen wollen. Wie beispielsweise die Bünzli-Büx der Brauerei Locher. Auch Kleinbrauereien gehören zu ihrer Kundschaft. Oft können Reutimanns die Brauer für sich gewinnen, weil sie die Hopfensorten nicht mischen, wie es sonst gemacht wird, so können Brauer sogenanntes Single-Hop-Bier herstellen. Bier mit nur einer Hopfensorte also. «Wir kultivieren verschiedene Sorten, und ich führe Vertreter von Kleinbrauereien gerne zu den Hopfenpflanzen, die etwa nach Zitrone, Mandarine oder Blaubeere riechen.

In unserer hofeigenen Brauerei zeige ich ihnen dann, wie sich die Aromen im Bier entfalten», erzählt Christoph Reutimann. Kostet man es, versteht man die Brauer, die auch auf nur eine Hopfensorte setzen wollen. Es ist erstaunlich, dass etwa der starke Mandarinengeruch und -geschmack tatsächlich nur von der bestimmten Hopfensorte kommt. Weiss man um die Besonderheiten des Hopfens und die Geschichte rund um die Braugerste und das Malz aus der Schweiz, wird man am nächsten richtig heissen Sommertag das Bier nicht nur deshalb trinken, weil das Klischee fast danach schreit, sondern weil das jahrtausendealte Getränk tatsächlich fasziniert. Vielleicht wird man auch ein Bier wählen, in dem nicht nur das Wasser aus der Schweiz kommt.

Swissness

Auf vielen Bierdosen und -flaschen prangt das Schweizer Kreuz. Laut den Bestimmungen des Markenschutzgesetzes darf ein Lebensmittel als schweizerisch bezeichnet werden, wenn mindestens 80 Prozent seiner Rohstoffe von hier stammen. Und Wasser darf laut dem Gesetz «bei Getränken, bei denen es wesensbestimmend ist und nicht der Verdünnung dient, angerechnet werden». Wie zum Beispiel beim Bier, heisst es. Da sich Bier zu 90 Prozent aus Wasser zusammensetzt, kann es also als Schweizer Bier bezeichnet werden, wenn das Wasser von hier stammt, Hopfen und Malz aber aus dem Ausland. 


mittellandmalz.org
hopfentropfen.ch


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